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Spiele

Kalkulierter Hype: Starfield ist auf Hit programmiert, aber „nur“ ein gutes Spiel

von Mario Donick

06.09.2023

Im August und September 2023 gab es mit Baldur’s Gate 3 und mit Starfield gleich zwei große Spiele-Veröffentlichungen, die auf je eigene Art an frühere Erfolgstitel anknüpfen wollen – mit unterschiedlichem Erfolg.

Der 6. September 2023 markiert für die US-amerikanische Videospielfirma Bethesda Softworks einen Meilenstein. Denn da erscheint Bethesdas neues Spiel Starfield. In dem Science-Fiction-Setting des Spiels ist die Erde schon lange unbewohnbar und die Menschen leben in Kolonien im Weltraum. Da gibt es New Atlantis, wo zumindest die Architektur utopisch ist. Da ist das an Western-Städte erinnernde Akila City. Und natürlich gibt es mit Neon auch eine Cyberpunk-Metropole. Dazwischen an die 1.000 weitere Planeten und Monde, meist menschenleer. All das können Spieler*innen in selbstbestimmter Weise besuchen.

Starfield ist Bethesdas erste neue Marke seit 25 Jahren, wie das Unternehmen im Vorfeld nicht müde wurde zu betonen. Bekannt ist Bethesda für die Reihen The Elder Scrolls und Fallout, erfolgreiche Produkte mit großen offenen Spielwelten. Auch die vielen Planeten und mit Quests vollgestopften Städte von Starfield sollen wieder Spielspaß für viele Monate bieten.

Küstenlandschaft bei Sonnenuntergang, ein außerirdisches Tier grast, am Himmel ein fliegendes Tier
Auf den meist menschenleeren Planeten in Starfield (2023) ungewöhnliche Tiere zu beobachten, hat durchaus seinen Reiz.

Dabei ist Starfield kein Online-Rollenspiel, sondern ein Einzelspieler-Titel, den man ganz ungestört konsumieren kann und der auch nicht zum zusätzlichen Geldausgeben nötigt – eben ein sehr klassisches Computerspiel. So klassisch, dass es mit denselben erzählerischen Mitteln und Spielmechaniken arbeitet, die Bethesda seit langer Zeit nutzt. Starfield wirkt darum auch etwas altbacken und, wenn es etwa um romantische Beziehungen geht, etwas peinlich-bemüht.

Das fällt besonders im Vergleich zur Konkurrenz auf. Starfield erscheint einen Monat später als Baldur’s Gate 3, das Anfang August veröffentlicht wurde. Baldur’s Gate 3 wurde vom belgischen Studio Larian entwickelt und ist ebenfalls ein klassisches Rollenspiel. Es ist die Fortsetzung der äußerst erfolgreichen Baldur’s Gate-Reihe, deren erste zwei Teile 1998 und 2000 erschienen. Die Reihe basiert auf dem Fantasy-Pen & Paper-Spiel Dungeons and Dragons. Wie Starfield überführt Baldur’s Gate 3 ein altes Spielprinzip in die heutige Zeit – aber anders als Starfield wirkt Baldur’s Gate 3 überhaupt nicht altmodisch. Im Gegenteil wirkt es erzählerisch und spielmechanisch frisch und unverbraucht.

Baldur’s Gate 3 wurde daher von Fachpresse wie Spieler*innen äußerst positiv aufgenommen. Es legt die Messlatte für ein gutes Computer-Rollenspiel sehr hoch, da es die Kreativität und den Humor echter Pen & Paper-Runden erfolgreich in ein Videospiel überträgt. Zahlreiche mögliche Variationen in der Erzählung sowie überraschende, aber stets passende Reaktionen des Spiels auf Nutzereingaben führen dazu, dass mehrere Spieler*innen kaum je ein identisches Erlebnis haben, worüber man sich dann auch gerne mit Freund*innen unterhält. Damit wird das Spiel zum sozialen Erlebnis. So etwas gelang Einzelspieler-Titeln in dieser Breitenwirkung lange nicht mehr, und das bleibt im Gedächtnis. An der Qualität und der Wahrnehmung von Baldur’s Gate 3 muss sich nun auch Starfield messen, selbst wenn es in großen Teilen ganz anders funktioniert.

Steilküste, türkisblaues Wasser
Die Spielwelt in Baldur's Gate 3 (2023) ist klein, aber detailliert ausgestaltet und bietet viele schöne Ausblicke.

Künstlicher Hype

Als typisches Bethesda-Spiel hat man in Starfield viele Freiheiten in der Gestaltung der Spielfigur, in der Auswahl der Aufgaben, die man tut oder lässt, und in der freien Erkundung dieser riesigen Welt aus der Ego-Perspektive. Doch Starfield geht sehr in die Breite und selten in die Tiefe. Darum ist fast alles erwartbar, wirklich überraschende Dialoge oder Lösungsmöglichkeiten für Aufgaben gibt es selten. Die Spielwelt reagiert nur begrenzt auf Handlungen der Spieler*innen. Anders als The Elder Scrolls oder Fallout nimmt sich Starfield außerdem viel zu ernst, ohne dass die genutzten Inszenierungstechniken diesen Ernst angemessen vermitteln könnten. Starfield ist ein Spiel aus dem Jahr 2023, wirkt aber in vielerlei Hinsicht immer noch wie das 2011 erschienene The Elder Scrolls V: Skyrim oder wie Fallout 4 aus dem Jahr 2015.

Diese Unbeholfenheit kann man sympathisch finden, aber immer weniger Spieler*innen sind dazu bereit. Doch einen Misserfolg kann sich Bethesda Softworks nicht leisten. Das Studio wurde 2021 durch Microsoft übernommen und als Exklusivtitel für Microsofts Spielekonsole Xbox (Sonys PlayStation 5 wird nicht bedient) muss Starfield erfolgreich sein. Also versuchte die Bethesda-PR im Vorfeld mit allen Mitteln, Starfield zu einem Erfolg zu machen, was sich schon vor dem Verkaufsstart nach einem unangenehm gesteuerten Hype anfühlte.

Für das Marketing wurde alles aufgefahren, was zu einem Lehrbuch-Hit gehört: eine Präsentation des Titel-Soundtracks des Komponisten Inon Zur mit dem London Symphony Orchestra; mehrere kurze Trickfilme; ein Live-Action-Trailer zu einer Coverversion des Elton-John-Songs Rocket Man; und am Ende noch ein ziemlich kitschiger Popsong der US-amerikanischen Band Imagine Dragons. Da war wirklich alles dabei, um möglichst viele Likes und Shares auf Social-Media-Portalen zu generieren.

Auch der eine Woche frühere Zugang zum Spiel für besonders zahlungswillige Nutzer gehört zum Marketing-Konzept – in der Hoffnung, dass begeisterte „Early Adopter“ den Hype weiter schüren. Aber das war ein Risiko, wie erste Reaktionen zeigten.

Landschaft mit rotem Fels und vertrocknet aussehendem Gras, darüber blauer Himmel, eine Person im Raumanzug
Einer der über 1.000 Planeten und Monde in Starfield (2023)

Ist „gut“ noch gut genug?

Angesichts des PR-Aufwands und der aufgebauten Erwartungshaltungen sind die ersten Rezensionen zum Spiel ernüchternd. Zwar sind Produkttests eigentlich keine angemessene Form der Spielkritik, wenn man diese in einem kulturellen Sinne betreiben will. Doch für Unternehmen wie Spieler*innen sind Wertungen nach wie vor wichtig. Bei Starfield liegt der internationale Wertungsschnitt der Fachpresse derzeit (06.09.2023) bei 88 von 100 Punkten (MetaCritic). Das ist gut, aber eben „nur“ gut. Zwar gibt es viele Wertungen zwischen 90 und 100 Punkten, aber auch solche im 70er-Bereich, teils von großen Portalen wie IGN.

Reaktionen von Spieler*innen sind ähnlich gespalten. Einerseits macht Starfield Spaß. Es überwältigt und fasziniert mit seinem Umfang und den vielen Beschäftigungsmöglichkeiten. Andererseits ist das Spiel in seinen Haupt- und Nebengeschichten erwartbar, sein Science-Fiction-Szenario hat man schon mehrfach anderswo gesehen, manche spielmechanische Aspekte sind unausgegoren, und technisch schleppt Starfield teils dieselben Probleme mit, die man aus The Elder Scrolls und Fallout kennt.

Als Kontrast dazu – Baldur’s Gate 3. Das ist ebenfalls kein technisch perfektes Spiel. Und sein Fantasy-Szenario ist für sich genommen ebenfalls nichts Besonderes. Aber während bei Starfield an jeder Ecke das wirtschaftliche Kalkül durchschimmert (schon die oben genannten Städte richten sich klar an Fans anderer Science-Fiction-Universen, ohne dass es wie eine liebevolle Hommage wirken würde), strahlt Baldur’s Gate 3 so etwas wie ‚Seele‘ aus. Das Spiel wird gekauft, gespielt und sehr gut bewertet (Metacritic-Schnitt: 96/100), weil es trotz einiger Probleme insgesamt herausragend ist – es also aus der Masse der sonst veröffentlichten Titel als wirkliche Besonderheit herausragt. Und das tut es aus einem simplen Grund: Baldur’s Gate 3 stellt das Spielen in den Vordergrund.

Dialog-Szene in Baldur's Gate 3, mehrere Personen in fantasievoller Kleidung
Baldur's Gate 3 (2023) bietet viele einzigartige Charaktere und Dialoge.

Und zwar echtes Spielen in einem fast schon kindlich-entdeckenden Sinne, als Möglichkeit, sich sehr frei in einer interaktiven Spielwelt auszuprobieren. Ganz ähnlich, wie das Spieler*innen des nicht-digitalen Vorbilds Dungeons and Dragons tun können, wenn sie abends gemeinsam am Küchentisch sitzen und mit Würfel, Stift und Fantasie Abenteuer erleben. Larian gelang es, die vielen Möglichkeiten, die so eine echte Spielerunde bietet, in ihrem Computerspiel einzufangen. Baldur’s Gate 3 hat zwar keine ausufernde Spielwelt – alles spielt um und in der gleichnamigen Stadt –, ist in seiner Tiefe aber umso beeindruckender. Außerdem hat es Humor, der zum Setting passt. Sein großer Erfolg ist vor allem Ergebnis dieser Qualität und nicht Folge eines absehbaren PR-Kalküls.

Eines Kalküls wie bei Starfield. Das Spiel ist ab heute für die breite Masse verfügbar. Man darf man in den nächsten Wochen gespannt sein, ob an die Stelle des bisherigen künstlichen Hypes nun ebenfalls ein echter Erfolg bei den Spieler*innen tritt und welche Qualitäten dafür womöglich eine Rolle spielen.

Eine Felslandschaft, im Hintergrund die futuristische Skyline einer Stadt
Umgebung der Stadt New Atlantis in Starfield (2023)

 

Disclaimer: Der Autor hat für die Zeitschrift GameStar an einem Sonderheft zu Starfield mitgearbeitet und in diesem Rahmen bereits seit Mitte August Zugang zum Spiel. Die Eindrücke beruhen auf bisher ca. 100 Stunden Spielzeit. Wäre der Autor gezwungen, dem Spiel eine Wertung zu geben, läge sie wohl zwischen 75 und 80 Punkten – gut genug, damit der Autor damit noch lange Spaß haben wird.

 

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