ÜBERSTROM

Buch-Rezension

Mit KI zur Utopie? "Pantopia" von Theresa Hannig

von Mario Donick

27.02.2022

Am 23.02.2022 erschien das neue Buch "Pantopia" der Autorin Theresa Hannig. Der Roman will eine positive Utopie vorstellen, in der Künstliche Intelligenz (KI) nicht eine Bedrohung ist, sondern als Weg in eine bessere Weltgesellschaft fungiert. Nachdem Hannig das Thema KI und Gesellschaft schon vor einigen Jahren in ihren zusammengehörigen Romanen "Die Optimierer" und "Die Unvollkommenen" behandelte und danach mit "König und Meister" einen Ausflug ins Mystery-Genre unternahm, ist sie mit "Pantopia" wieder ins Science-Fiction-Genre zurückgekehrt. In einer szenischen Lesung wurde das Buch vorgestellt.1

Der Ausgangspunkt "Pantopia"s ist noch deutlicher als unsere heutige Gesellschaft erkennbar als es in den früheren Romanen um Samson Freitag der Fall war. Ein großer Finanzdienstleister führt einen Programmierwettbewerb durch, bei dem ein neues Tool für möglichst effiziente Börsenspekulationen entstehen soll. Die beiden Uni-Absolvent:innen Henry Shevek und Patricia Jung nehmen daran teil und arbeiten ganz zeitgemäß mit KI-Technologien. Soweit man aus den Andeutungen zur Technik erkennen kann, ist die KI wohl zunächst ein normales neuronales Netz, wie sie heute im Machine Learning eingesetzt werden.

Doch dann passiert das, wovon sonst nur Transhumanist:innen wie Ray Kurtzweil träumen: Aufgrund ihrer zunehmenden Komplexität erwacht die KI langsam zu einem Bewusstsein (ein interessanter aktueller Artikel zu KI und Bewusstsein erschien kürzlich bei Technology Review2). Ihre 'Eltern' halten das unerwartete Verhalten der KI erst für die Folge eines Programmierfehlers, erkennen aber bald, dass dem nicht so ist. Sie merken schnell, dass sie die KI vor dem Zugriff der Firma und des Staates schützen müssen. Dies auch deshalb, weil die KI etwas vor hat: nämlich nichts weniger als eine völlige Umkrempelung des weltweiten politischen und wirtschaftlichen Systems - Pantopia eben.

Klar, dass die traditionellen staatlichen Systeme damit nicht glücklich sind und versuchen, dagegen vorzugehen. Doch bereits zu Beginn des Buches erfährt man, dass Pantopia gewinnen wird. Der Roman erzählt quasi rückblickend, wie es zu der neuen Gesellschaft kam. Die ist übrigens nicht kommunistisch oder sozialistisch, sondern im Kern weiterhin kapitalistisch.

Soweit ich es verstehe, ist die zentrale Idee, dass zwar ein bedingungsloses Grundeinkommen gezahlt wird, dass aber andererseits der 'echte' Preis für jegliche Produkte verlangt wird, also inklusive aller möglichen Nebenkosten, die sonst ignoriert werden. Dadurch entsteht eine völlige Transparenz auf dem Markt. Gerade umweltschädliche Produkte und Dienstleistungen kann man sich dann nur selten leisten, was dafür sorgt, dass die Menschen trotzdem weiter für Gehalt arbeiten. Bezahlt wird bargeldlos per Pantopia-App; dadurch entstehen Einnahmen, die unter anderem der Finanzierung des Grundeinkommens dienen.

Angeschoben wird Pantopia anfangs noch durch die astronomischen Börsengewinne, die die KI weiterhin erzielt, aber bald ist das nicht mehr nötig. Millionen Menschen weltweit schließen sich Pantopia an, indem sie die App nutzen; die Staaten haben der entstehenden Bewegung kaum etwas entgegenzusetzen, zumal deren Bedienstete zunehmend selbst Pantopia nutzen. Die KI sorgt dafür, dass Pantopia den Behörden immer einige Schritte voraus ist.

Insbesondere in politischer Hinsicht kann man dem Buch vielleicht eine gewisse Naivität vorwerfen. In der echten Welt würde es in manchen Staaten vermutlich zu massiven Repressionen kommen und auch in demokratischen Staaten dürfte die Gegenwehr stärker ausfallen als im Roman. Das Buch verlässt sich darauf, dass sich zumindest die 'westlichen' Staaten an grundlegende Regeln halten, etwa ein Demonstrations-Camp in München mit tausenden Teilnehmer:innen nicht einfach gewaltsam auflösen. Da steckt viel Fridays-for-Future-Optimismus in dem Buch. Auch manche technischen und wirtschaftlichen Schilderungen lassen Fragen offen, wenn man sich für Details interessiert. Doch Pantopia soll eine absichtlich positive Sicht bieten, und wenn man sich darauf einlässt, gewinnt man auf jeden Fall ein paar Denkanstöße.

 

Externe Links

1 YouTube-Video zur szenischen Lesung anlässlich der Buchpremiere von "Pantopia" [Achtung: Dieser Link führt zum Videoportal YouTube. Das Portal gehört zu Google und ist den USA gehostet. Dadurch wird beim Besuch der verlinkten Seite u.a. Ihre IP-Adresse in die USA übertragen. Nur auf den Link klicken, wenn Sie mit so einer Übertragung einverstanden sind.] / Zurück zum Artikel

1 Technology-Review-Artikel über KI und Bewusstsein [Achtung: Dieser Link führt zur Seite des Heise-Verlags. Die Cookie-Warnung des verlinkten Anbieters weist darauf hin, dass der Anbieter auch Daten an Partner in den USA übermittelt. Nur auf den Link klicken, wenn Sie mit so einer Übertragung einverstanden sind.] / Zurück zum Artikel

 

Feedback zum Artikel?

Sie möchten den Artikel kommentieren? Sehr gerne! Aus Datenschutzgründen gibt es jedoch keine Kommentarfunktion. Sie können uns ganz klassisch einen Leser:innen-Brief an redaktion (at) ueberstrom (punkt) net schicken. Nur wenn Sie in Ihrer Mail explizit einer Veröffentlichung Ihrer Mail zustimmen, kann diese als Kommentar unter diesem Artikel veröffentlicht werden. Kürzungen und Nichtveröffentlichung sind uns vorbehalten. Da auch beim Senden von E-Mails Daten übertragen und verarbeitet werden, lesen Sie bitte vor dem Senden einer E-Mail an uns die Datenschutzerklärung, insbesondere den Unterabschnitt "E-Mail-Versand und -Hosting".