ÜBERSTROM

Online-Meetings

Digitaler Overload

von Uta Buttkewitz

05.12.2021

Inzwischen habe ich eine regelrechte Aversion gegen Videokonferenzen entwickelt. Das, was in den letzten Monaten vielleicht noch in gewisser Weise Spannung und Aufregung versprach, weil es Neuland war, ermüdet mich zusehends. Ich stelle fest, dass einige meiner Kolleg:innen in dieser Hinsicht mitunter etwas resilienter zu sein scheinen bzw. es mit mehr Gleichgültigkeit ertragen können als ich dazu in der Lage bin.

Normalen Videokonferenzen, in denen es um einen kurzen Informationsaustausch geht oder man einem interessanten Vortrag lauscht, kann ich durchaus etwas abgewinnen. Aber sobald es in Richtung zwischenmenschlichen Austausch und Unterhaltung geht, um das Arbeiten in Arbeitsgruppen, Small Talk in Breakout Rooms oder virtuellen Lounges - wird es für mich völlig widersinnig. In meinen Augen wird damit der Sinn der zwischenmenschlichen Kommunikation und des Zusammenlebens an sich ad absurdum geführt.

Ich habe das in der letzten Woche gerade wieder bei zwei Online Tagungen erlebt. Am Anfang vergehen zehn Minuten, bis jeder die Plattform (war keine, die ich kannte) verstanden hat. Die Hälfte hatte keine Lust zum Nachfragen, wie bestimmte Tools funktionieren, die leider häufig nicht selbsterklärend sind oder sich intuitiv erschließen. Dann wurde ausprobiert, ob Kamera und Mikro funktionieren und parallel gab es noch eine für die meisten Teilnehmenden ebenfalls bisher unbekannte zweite Plattform, auf der alle synchron zusammenarbeiten und bunte Zettelchen an virtuelle Pinnwände ankleben konnten.

Ich finde diese Vorgehensweise bei Workshops in analoger Form schon langweilig und unergiebig - aber virtuell mit 40 Personen an etwas zu arbeiten, ohne dass man sieht, was die andere Person macht, entbehrt aus meiner Sicht absolut jeglichen Mehrwert. In der Mittagspause habe ich mich entnervt ausgeklinkt. Bei der zweiten Tagung habe ich nicht mal die Website verstanden, die wie ein Computerspiel aussah und sehr cool und stylish wirkte, sich mir aber nicht erschloss.

Bild eines digitalen Online-Meetings
Wikimania 2021 (Quelle: Wikimedia)

Analoger zwischenmenschlicher Austausch entwickelt zusätzlich seinen Mehrwert dadurch, dass man andere Menschen mit all seinen Sinnen wahrnehmen und kennenlernen kann, selbst wenn Tagungen in Präsenz fachlich auch nicht immer begeistern können. Das kennt jeder. Aber irgendwelche interessanten Gespräche sind doch meistens dabei; man lernt einen neuen Ort und vielleicht auch eine neue Stadt/Land kennen, spürt die Stimmung dort. Das alles beeinflusst mich. Vor dem Bildschirm fühle ich mich nicht lebendig, sondern wie nicht existent.

Klar, medial vermittelte Kommunikation gab es immer - durch Briefe, später durch Telegrafie, Telefon, Fax, E-Mails, Kurznachrichten usw. Aber die Art des Kommunizierens passt sich eigentlich dabei immer der Art des Kommunikationsmediums an, so dass jedes Medium seinen bestimmten Zweck erfüllt und auf eine bestimmte Situation angepasst wird.

Bei größeren Online-Meetings versuchen wir nun, "reale" Konferenzen oder Treffen mit mehreren Personen zu imitieren. Und das kann nicht funktionieren, da immer etwas fehlt. Selbst wenn sich zwei oder drei Personen gesondert in einem Breakout Room unterhalten, bleiben die anderen Tagungsteilnehmenden unsichtbar, während man beispielsweise bei einer Tagung in Präsenz in der Kaffeepause an einen gesonderten Tisch gehen kann und dabei die anderen Teilnehmenden beobachten und das Geschehen um einen herum auch wahrnehmen kann und damit mehr Reize und Informationen aufnimmt; es ergeben sich zufällige Begegnungen zwischen Tagungsteilnehmenden, die virtuell wahrscheinlich nicht stattfinden würden - von einem ungezwungenen, gemütlichen und entspannenden Abendessen ganz zu schweigen.

Ich merke das auch immer wieder im universitären Alltag: Man bekommt nicht nur durch das momentan oft genutzte Homeoffice weniger von der Arbeit der Kolleg*innen mit, sondern eben auch aufgrund der vielen Online-Meetings. Das heißt, ein Großteil der Arbeit (Dienstberatungen, Konferenzen, Workshops, Diskussionen usw.) findet in einer "Black Box" statt - unsichtbar für die Augen der Anderen.

Wie Urs Stäheli in seinem Buch "Soziologie der Entnetzung" feststellt, ist die Zeit vorbei, um noch zwischen realer und virtueller Welt eine Grenze ziehen zu können. Die unschuldige, unberührte analoge Welt gibt es nicht mehr, so Stäheli. Es bringt also nichts mehr, dieser nostalgisch hinterher zu trauern. Trotzdem gilt es jedoch, die digitalen Hilfsmittel und Instrumente immer wieder auf ihre situative kontextbezogene Sinnhaftigkeit und ihren Nutzen hin zu überprüfen und diese nicht einfach unhinterfragt zu verwenden. Es gibt eindeutig auch ein Zuviel an digitaler Vernetzung, so dass die verschiedenen Tools inflationär eingesetzt werden und oft die (Nicht-) Kommunikation und die Technik im Vordergrund stehen und nicht der inhaltliche, emotionale Austausch - der sich mit unseren derzeitigen digitalen Mitteln (noch) nicht adäquat ersetzen lässt.

Es ist nicht so, dass ich glaube, dass Videokonferenzen nicht auch gewinnbringend sein können, jedoch dürfen sie nicht Überhand nehmen - das ist für mich eine Erkenntnis aus der pandemischen Situation.

 

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