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Zurück zu den Wurzeln: Gemini als kleiner 'Zwilling' des Internets

von Mario Donick

06.12.2021

Nicht nur wir bei Über/Strom leiden mitunter am digitalen Overload. Im Fokus unserer Kritik stehen oft Online-Konferenzen oder Social-Media-Dienste, wo es also um Kommunikation zwischen Menschen geht. Aber auch das World Wide Web (WWW) fühlt sich mitunter überladen an, was nicht nur an der vielen Werbung liegt. Was als Möglichkeit zum akademischen Austausch begann und in den Neunzigern noch gern als Realisierung von Vannevar Bushs Memex-Konzept (1945)1 gesehen wurde, ist heute Alltag — ein nie endender Strom von Texten, Bildern, Musik, Videos, in dem man sich leicht verlieren kann: Über/Strom eben. Eine bis heute existierende Alternative zum WWW, Gopher2, hat auch wegen technischer Unzulänglichkeiten an Bedeutung verloren. An der Stelle stieg 2019 das Gemini-Projekt ein.

Minimalismus

Das Gemini Protocol ist ein Daten-Übertragungsprotokoll ähnlich dem Hypertext Transfer Protocol (HTTP), das dem WWW zugrundeliegt. Adressen fangen bei Gemini nicht mit http:// oder https:// an, sondern werden mit gemini:// eingeleitet. Normale Webbrowser verstehen das noch nicht, aber es gibt eine Menge spezieller Gemini-Browser.

Screenshot des Gemini-Browsers Lagrange
Screenshot von Lagrange, einem Gemini-Browser für Windows, Linux und macOS

Der Name des Protokolls bezieht sich auf die US-amerikanischen Gemini-Raumschiffe (1961-1966). Gemini-Websites werden daher auch Kapsel / capsule genannt. Wie beim WWW wird ein Browser benutzt, um Gemini-Seiten zu betrachten (vgl. Screenshot oben). Wer sich keinen extra Browser installieren will, kann Gemini-Adressen auch über einen Proxy aufrufen3 - darüber können Sie sich zum Beispiel die Projektbeschreibung von Über/Strom auf unserer brandneuen Gemini-Kapsel anschauen4 (eventuell werden dort künftig als Experiment ausgewählte Artikel unserer Zeitschrift gespiegelt.5).

Statt der im WWW üblichen Auszeichnungssprache HTML (Hypertext Markup Language) oder gar komplexen Formatierungen mit CSS und für besondere Funktionen nötigen Skriptsprachen wie JavaScript besteht der Geminispace aus einfachen Textdateien, die lediglich mit wenigen Befehlen formatiert sein können. Das Format wird Gemtext6 genannt. Die Dateiendung ist .gmi statt .html.

Wie auf Zeitreise

Entsprechend liegt der mögliche Nutzen von Gemini vor allem im Präsentieren von Hypertexten im engeren Sinne. Ein guter Browser formatiert diese Texte so, dass sie angenehm lesbar sind. Gemini ist dahingehend quasi das Äquivalent zum distraktionsfreien Schreiben, wie es in diversen mittlerweile recht beliebten Markdown-Editoren wie Typora möglich ist.

Den mit derzeit ca. 209.000 einzelnen Seiten noch recht überschaubaren Geminispace zu erkunden, versetzt ein wenig zurück in die Anfangszeit des WWW — als das noch neu und aufregend war, als man nicht wusste, was sich wohl hinter dem nächsten Link verbirgt, und als noch keine großen Konzerne das Web dominierten. Daher gibt es auch noch etwas, das im WWW längst keine Bedeutung mehr hat: von Hand gepflegte Seitenverzeichnisse.

Klickt man sich da durch, findet man neben inoffiziellen Spiegelungen von Nachrichten-Websites vor allem eine Menge Seiten, auf denen Leute ihre Kochrezepte, Lieblingsbücher, Musikvorlieben, Linklisten und persönliche Tagebucheinträge teilen. Viele Kapseln sind sehr techniklastig, mitunter mischt sich darunter ein anti-kapitalistischer bis anarchistischer Vibe.

Sinnsuche

Das alles erinnert an die Frühzeit des Internet. Man fragt sich durchaus, welchen konkreten Zweck Gemini erfüllen soll und kann. Zwar lassen sich darüber Textdokumente ressourcensparend verteilen und lesen, und das kann aus klimatechnischer Sicht ein Argument sein. Aber den Ansprüchen unserer hyperkommunikativen Zeit, wo es oft nicht um den Text geht, sondern um die Reaktion darauf (Klick, Like, Share), wird das nicht gerecht. Und will es ja auch nicht. Auch ein "Darknet" kann Gemini nicht werden, denn es ist ja öffentlich.

Wozu also?

Vielleicht einfach, "weil man es kann". Weil Erschöpfung vom normalen WWW nicht bedeutet, ganz auf Vernetzung verzichten zu wollen. Und technischer Spieltrieb Ziele braucht. Inhaltlich erscheint der Geminispace aber vor allem als Versuch, sich diese seltsame Halböffentlichkeit zurückzuholen, die das WWW anfangs ausgezeichnet hat:

"Ich habe jetzt eine eigene Homepage!"

"Aha. Hast du schon Hausaufgaben gemacht?"

 

Externe Links

1 Wikipedia-Eintrag zum Begriff "Memex" [Achtung: Dieser Link führt zur Enzyklopädie Wikipedia, die von der Wikimedia Foundation betrieben wird, einer gemeinnützigen Organisation mit Sitz in den USA. Die Server von Wikimedia befinden sich in den USA, wodurch beim Klick auf den Link und Besuch der verlinkten Seite u.a. Ihre IP-Adresse in die USA übertragen wird. Nur auf den Link klicken, wenn Sie mit so einer Übertragung einverstanden sind.] / Zurück zum Artikel

2 Wikipedia-Eintrag zum Begriff "Gopher" [Achtung: Dieser Link führt zur Enzyklopädie Wikipedia, die von der Wikimedia Foundation betrieben wird, einer gemeinnützigen Organisation mit Sitz in den USA. Die Server von Wikimedia befinden sich in den USA, wodurch beim Klick auf den Link und Besuch der verlinkten Seite u.a. Ihre IP-Adresse in die USA übertragen wird. Nur auf den Link klicken, wenn Sie mit so einer Übertragung einverstanden sind.] / Zurück zum Artikel

3 Gemini- und Gopher-Proxyserver Vulpes [Achtung: Dieser Link führt zu einem Proxyserver, der Seiten, die eigentlich für das Gemini- und Gopherprotokoll erstellt wurden, als 'normale' Website darstellt. Damit ist die verlinkte Seite Teil des 'normalen' WWW. Da es auf der verlinkten Seite keine Datenschutzerklärung gibt, kann nicht ermittelt werden, ob personenbezogene Daten, u.a. Ihre IP-Adresse, in Drittstaaten, u.a. die USA, übermittelt werden. Nur auf den Link klicken, wenn Sie mit so einer Übertragung einverstanden sind.] / Zurück zum Artikel

4 Proxy-Ansicht der Über/Strom-Gemini-Kapsel [Achtung: Dieser Link führt zu einem Proxyserver, der Seiten, die eigentlich für das Gemini- und Gopherprotokoll erstellt wurden, als 'normale' Website darstellt. Damit ist die verlinkte Seite Teil des 'normalen' WWW. Da es auf der verlinkten Seite keine Datenschutzerklärung gibt, kann nicht ermittelt werden, ob personenbezogene Daten, u.a. Ihre IP-Adresse, in Drittstaaten, u.a. die USA, übermittelt werden. Nur auf den Link klicken, wenn Sie mit so einer Übertragung einverstanden sind.] / Zurück zum Artikel

5 gemini://ueberstrom.flounder.online [Achtung: Dieser Link ist nur mit einem installierten Browser für das Gemini-Protokoll aufrufbar. Obwohl das Gemini-Protokoll sehr großen Wert auf Datenschutz legt, wird technisch bedingt dennoch Ihre IP-Adresse übertragen, wenn Sie den Link aufrufen. Die Über/Strom-Kapsel ist beim kostenlosen Gemini-Anbieter Flounder gehostet, der seinen Sitz in den USA hat. Damit wird Ihre IP-Adresse beim Aufruf des Links die USA übermittelt. Rufen Sie den Link nur auf, wenn Sie mit so einer Übertragung einverstanden sind.] / Zurück zum Artikel

6 Beschreibung des Gemtext-Dateiformats [Achtung: Dieser Link führt zu einem Proxyserver, der Seiten, die eigentlich für das Gemini- und Gopherprotokoll erstellt wurden, als 'normale' Website darstellt. Damit ist die verlinkte Seite Teil des 'normalen' WWW. Da es auf der verlinkten Seite keine Datenschutzerklärung gibt, kann nicht ermittelt werden, ob personenbezogene Daten, u.a. Ihre IP-Adresse, in Drittstaaten, u.a. die USA, übermittelt werden. Nur auf den Link klicken, wenn Sie mit so einer Übertragung einverstanden sind.] / Zurück zum Artikel

 

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