Social Media
Mastodon und die Hoffnung auf Kommunikation
30.10.2022
In den letzten Tagen 'trendet' auf Twitter der Hashtag #Mastodon und es ist von einem Twitter-Exodus die Rede. Das dezentral organisierte Open-Source-Projekt Mastodon (benannt nach einem urzeitlichen Verwandten des Elefanten) hat nach Elons Musks Twitter-Kauf erneut viele neue Nutzer:innen gewonnen. Schon nach Musks Kaufankündigung Anfang des Jahres verließen eine Reihe Leute die kommerzielle Microblogging-Plattform.
Neben dem prinzipiellen Anliegen, dass kein superreicher Wirtschaftsmagnat die Kontrolle über eine so verbreitete Kommunikationsplattform haben sollte, besteht auch die Sorge, dass sich Twitter nun noch mehr Richtung Fake News und Hassbotschaften entwickelt. Die befürchtete Wiederkehr des Donald Trump ist das wohl wirkmächtigste Symbol dafür. Interessanter als dies ist aber, ob und wie sich die Aktivität auf Mastodon möglicherweise von Twitter unterscheidet. Handelt es sich auch hier um den "kurzen, folgenlosen Kontakt", den Über/Strom-Autorin Uta Buttkewitz in ihrem Buch "Smiley, Herzchen, Hashtag" für Social Media insgesamt diagnostizierte? Oder können wir bei Mastodon von Kommunikation sprechen?
Tröt!
Bei Twitter heißt es "tweeten" oder "zwitschern", bei Mastodon spricht man vom "tooten" oder "tröten" (denn wie erwähnt ist der Dienst nach einem ausgestorbenen Rüsseltier benannt). Der Knopf, mit dem man einen Post absetzt, ist entsprechend mit "Tröt!" bezeichnet. Das hat schon eine gewisse Ironie, denn genau das beschreibt Social Media ja sehr gut. Das süß klingende "Zwitschern", das friedfertige Interaktion suggeriert, ähnelt in Wahrheit ja allzuoft eher lautem Rumgegröle. Man "posaunt" etwas in die Social-Media-Welt hinaus, möglichst laut, um auch möglichst wahrgenommen zu werden.
Doch genau das könnte bei Mastodon anders sein. Denn in dem von keiner zentralen Instanz verwalteten Dienst ist es grundsätzlich schwieriger, bei großen Gruppen Aufmerksamkeit zu generieren, und auch der Belohnungskick bleibt aus. Und das liegt nicht nur an der im Vergleich zu Twitter noch viel geringeren Zahl von Nutzer:innen, sondern am Design des Dienstes selbst.
Die großen Social-Media-Dienste wie Twitter, Instagram, Facebook oder TikTok sind kommerziell. Die Unternehmen sind nicht aus Menschenfreundlichkeit an Kommunikation interessiert, sondern wollen mit den Nutzer:innen der Dienste und ihrer Daten Geld verdienen. Mastodon hingegen ist ein nichtkommerzielles, quelloffenes Projekt, das von keiner zentralen Stelle bereitgestellt und verwaltet wird. Damit entfällt der Zwang, Geld zu verdienen, womit zumindest von Anbieteseite keine ungesunden Maßnahmen nötig sind, um Nutzer:innen möglichst lange und dopamingesteuert auf der Plattform zu halten.
Dezentrales Design
Ganz pragmatisch gesprochen ist Mastodon erstmal eine Software, die auf einem Internetserver aufgesetzt wird und die dann durch Nutzer:innen verwendet werden kann. Eine Mastodon-Installation auf einem spezifischen Server wird als Instanz bezeichnet. Wenn ich also sage "ich nutze kein Twitter mehr, sondern Mastodon", dann meine ich eigentlich: "Ich habe mich bei einem der vielen verschiedenen Mastodon-Server (Instanzen) angemeldet". Häufig wird zur Verdeutlichung der Vergleich zur altbekannten E-Mail gezogen: E-Mail-Server sind ebenfalls dezentral; es gibt nicht den einen Anbieter, sondern tausende, und wenn ich wollte, könnte ich mir auch selbst einen einrichten, und trotzdem können sich alle E-Mail-Nutzer:innen gegenseitig schreiben. Damit das klappt, gibt es technische Spezifikationen (Protokolle). Bei Mastodon ist es ähnlich.
Meldet man sich auf einer Instanz an, erhält man einen Nutzernamen, der sich auf diese Instanz bezieht. Meiner ist zum Beispiel @mariodonick@mastodon.social und bis auf das führende @ sieht das doch fast aus wie eine E-Mail-Adresse: Nutzername at Domain. Ich habe mich (wie wohl viele gerade als ersten Schritt) für die Instanz "mastodon.social" entschieden (das ist der Server des Mastodon-Entwicklers Eugen Rochko). Das bedeutet, dass alles, was ich zum Beispiel unter einem bestimmten Hashtag schreibe, erstmal nur Leuten angezeigt wird, die ebenfalls auf diesem Server sind. Anders als bei Twitter, wo man sich an ein gerade 'trendendes' Hashtag quasi dranhängen kann, um damit hoffentlich viel Aufmerksamkeit zu generieren, ist dieser Mechanismus bei Mastodon so nicht möglich. Auch die Suche nach Hashtags mittels der Suchfunktion ist auf die eigene Instanz beschränkt.
Da die Betreiber:innen der einzelnen Instanzen für die Verwaltung, die Verhaltensregeln, ggf. das Sperren von problematischen Inhalten (z.B. Hasspostings, illegalen Inhalten) sowie mögliche Anmeldebeschränkungen zuständig sind, ergeben sich so zunächst kleinere Communitys, die im Prinzip unter sich bleiben können - wie früher in den vielen einzelnen Diskussionsforen, die in den 2000er Jahren, vor dem Aufkommen von Social-Media-Diensten, die Kommunikation im Internet prägten.
Doch an der Stelle kommt die sogenannte Föderation ins Spiel. Stellt man die Timeline auf der Startseite von Mastodon auf "Föderation"1, dann werden nicht mehr nur die Beiträge der eigenen Instanz angezeigt, sondern zusätzlich Beiträge anderer Instanzen, wenn wenigstens ein:e Nutzer:in der eigenen Instanz den entsprechenden Beitrag geteilt hat oder dessen Autor:in folgt. So hat man dann doch dieses 'moderne' Social-Media-Gefühl, mit tausenden anderen Leuten verbunden zu sein.
Subtile Mechanismen
Weitere Designentscheidungen verhindern, dass daraus wieder ein undurchsichtiger Strom endloser Post, bestenfalls einseitiger Kommunikation, wird, bei dem es nur um Aufmerksamkeit geht:
Erstens hat das Teilen von Beiträgen im Englischen die Bezeichung "boosten" (statt wie bei Twitter "retweeten"). Dieses Verb, das im Deutschen etwa "verstärken" heißt, macht schon sprachlich deutlich, dass das Teilen dem geteilten Beitrag Aufmerksamkeit verschaffen wird, was das unbedachte Teilen aus einem Impuls heraus etwas dämpft. Bei Twitter ist etwa bekannt, dass Beiträge, die man eigentlich kritisiert, durch das Teilen mit einem Zitat erst Aufmerksamkeit erhalten; die Bezeichnung "boosten" macht das deutlich.
Zweitens kann ein Beitrag beim Teilen in Mastodon nicht zitiert werden, worauf Scott Feeney in einem lesenswerten Artikel hinweist.2 Dies war eine bewusste Entscheidung des Mastodon-Entwicklers Eugen Rochko, weil man beim Zitieren nicht mehr mit der:m Autor:in des ursprünglichen Beitrags kommuniziere, sondern in einem neuen Themenstrang eher über diese Person. Twitter ist voll mit Beiträgen, in denen ein Tweet einer anderen Person zitiert und dabei mit mehr oder weniger bösen Kommentaren versehen wird, nach dem hämischen Motto: "Schaut, was XYZ wieder für Unsinn geschrieben hat". Bei Mastodon kann man inhaltliche Anmerkungen nur in dem entsprechenden Beitrag als Antwort schreiben.
Drittens weist Feeney darauf hin, dass es bei Twitter sehr anstrengend sei, jedes Mal benachrichtigt zu werden, wenn jemand einen Tweet, der über eine Person spricht, mit "gefällt mir" markiert. Gerade bei kontroversen oder gar hasserfüllten Themensträngen kann dies sehr schlimm sein, sodass nur Stummschalten hilft - denn jede Benachrichtung über das "Like" kann schlimmstenfalls bedeuten: "Guck, hier mag jemand das gegen dich gerichtete Hassposting". Auch diese Möglichkeit ist bei Mastodon verbaut.
Viertens werden direkt bei den Beiträgen der Timeline keine Statistiken angezeigt. Weder sieht man, wie oft ein Beitrag geteilt wurde, noch wie oft er mit "gefällt mir" markiert wurde. Erst wenn man den Beitrag anklickt, kann man recht klein entsprechende Angaben sehen. Da diese Statistiken so versteckt sind, wird der Impuls gedämpft, Beiträge schon allein wegen ihrer Beliebtheit weiterzuverbreiten statt wegen ihres Inhalts (den man auf Twitter vor dem Teilen vielleicht gar nicht vollständig wahrgenommen hat).
Hoffnung auf Kommunikation
All dies erzeugt die Hoffnung, dass es bei Mastodon eher zu mehrseitiger Kommunikation kommt als zu einseitigen Posts, die nur die eigene Person 'boosten' oder andere Menschen niederdrücken sollen. Mastodons Konzept macht es schwieriger, affekthaft-wütend zu reagieren und lädt mehr zu inhaltlicher Auseinandersetzung ein.
Durch das Instanzen-Modell bewegt man sich standardmäßig in dem sozialen Kontext der selbstgewählten Instanz, und da die Anbieter:innen einer Instanz entscheiden, welche anderen Instanzen geblockt werden, sinkt die Wahrscheinlichkeit, mit abseitigen Postings konfrontiert zu werden. Eine Mastodon-Instanz kann so wie ein Safe Space sein, der das positive Potenzial, das in Microblogging-Plattformen liegt, eher verwirklicht als es das kommerzielle, zentral verwaltete und sehr laute Twitter heute macht.
Ob sich Mastodon freilich als eine weit verbreitete Alternative zu Twitter etabliert, wird sich erst zeigen. Gerade Twitter-Nutzer:innen, die dort eine große Reichweite haben und Twitter durchaus als PR-Instrument verwenden, dürften sich mit Mastodon schwertun - ebenfalls wegen der genannten Designentscheidungen. Die Mastodon-Nutzerin Elilla greift das recht klar in ihrer F.A.Q. für neue Mastodon-Nutzer:innen3 auf. Eine der dort gestellten Fragen lautet:
"But how do I promote my toots to a large audience in a system like this?"
Und die pragmatische Antwort:
"That's the neat part, you don't."
Und wenn man es noch nicht verstanden hat:
"How do I make everything easily discoverable by a large audience?"
"You don't."
Es geht eben nicht um Marketing und Selbstdarstellung - oder um "broadcasting", wie es Elilla später in einem Posting auf Mastodon bezeichnet hat -, sondern um das, wofür der sonst höchstens als Euphemismus brauchbare Begriff "Social Network" in einem positiven Sinne stehen könnte.
Es ist zu hoffen, dass das noch viele Leute erkennen.
Externe Links
1 Diese "Föderation" oder das "Fedivese" (federated universe) besteht noch aus weiteren Diensten, z.B. Pixelfed als Instagram-Alternative oder PeerTube als YouTube-Alternative. / Zurück zum Artikel
2 Artikel von Scott Feeney über wichtige Unterschiede von Mastodon und Twitter [Achtung: Der Anbieter der verlinkten Seite ist in den USA und es gibt keine Datenschutzerklärung. Bei Aufruf dieser Seite wird Ihre IP-Adresse wahrscheinlich in die USA übertragen. Nur anklicken, wenn Sie damit einverstanden sind.] / Zurück zum Artikel
3 Häufig gestellte Fragen über Mastodon [Achtung: Dieser Link führt zu einem Blogeintrag, der bei WordSmith gehostet ist. Das ist eine Blogplattform im "Fediverse",es ließ sich leider nicht ermitteln, in welchem Staat der entsprechende Server steht und ob bei Aufruf dieser Seite Ihre IP-Adresse in die USA übertragen wird. Nur anklicken, wenn Sie mit so einer Übertragung im Zweifel einverstanden sind.] / Zurück zum Artikel
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