Tagung
Spiele, Archive und Resonanzerfahrungen: Tagung Games & Literature in Marbach
06.07.2023
Letzte Woche (vom 28.-30.06.2023) fand am Deutschen Literaturarchiv in Marbach die vom Forschungsverbund Marbach Weimar Wolfenbüttel organisierte dreitägige Tagung "Games & Literature. On the literaricity, research, collection, and archiving of computer games" statt. Es ging um konzeptuelle und praktische Fragen der Archivierung von Computerspielen, um diese für Forschungszwecke, in Archiven und in Museen verfügbar zu machen.
Wissenschaftler:innen und Museumsbetreiber:innen aus der ganzen Welt stellten vor Ort und teils online über Zoom ihre Ideen und Erfahrungen mit dem Problemfeld vor. Die Zusammensetzung war sehr interdisziplinär, entsprechend dem noch relativ jungen Feld der Game Studies, und viele bekannte Namen waren vertreten, u.a. Espen Aarseth, Beat Suter, Eugen Pfister und Lena Falkenhagen (letztere moderierte am zweiten Abend das Games Quartet, eine Art Literarisches Quartett, aber über Computerspiele).
Prozess statt Produkt
Erstes inhaltliches Highlight war - aus meiner subjektiven Sicht - der Beitrag von Andreas Lange, der zu Beginn darauf hinwies, dass kulturelles Erbe heute nicht mehr als unveränderliches Produkt angesehen wird bzw. allein in Objekten bewahrt wird, sondern als Prozess zu verstehen ist. Die Bewahrung so eines Prozesses erfordert eine andere Herangehensweise als die Bewahrung eines Objektes, was für ein dynamisches und interaktives Medium wie Computerspiele ein wichtiger Punkt ist. Der Vortrag bildete damit eine gute Ausgangsbasis für alles Folgende (später plädierte Csongor Baranyai für das Bewahren des Prozesses der Entwicklung von Spielen).
Ein Beispiel für die Veränderlichkeit von Spielen lieferte Souvik Mukherjee. Er sprach u.a. über das "Leiterspiel" (engl. Snakes and Ladders), das auf das indische Moksha Patamu (oder Gyan Chaupad) zurückgeht. Die Form des Spiels ist ein Spielbrett, auf dem man sich linear im Zickzack auf ein Ziel zubewegt, aber über Leitern viele Felder abkürzen oder über Schlangen weit zurückfallen kann. Die Spielmechanik hat sich in der einen oder anderen Variante über die Jahrtausende erhalten. Sie allein ist jedoch nicht ausreichend, um ein vollständiges Bild des Spiels zu erhalten. Form und Mechanik existieren vor dem Hintergrund bestimmter gesellschaftlicher Kontexte. Im Fall des Leiterspiels war das ursprünglich ein meditativer bzw. religiös-erbaulicher Charakter, der im Zuge der 'Verwestlichung' des Spiels jedoch verlorenging. Um dem Spiel im Zuge einer Bewahrung oder Musealiserung gerecht zu werden, müssen die sich wandelnden Kontexte mitgedacht werden.
Die Bedeutung des Kontexts wurde auch in weiteren Vorträgen deutlich. Es reicht nicht, einfach nur ein Spiel in ein Archiv aufzunehmen oder es zu katalogisieren (letzteres übrigens auch eine Frage, die einiges Kopfzerbrechen bereitet. Wie kann man ein Spiel in Systemen erfassen, die eigentlich für gedruckte Texte gedacht waren? Joy DuBose stellte dazu einige detaillierte Überlegungen vor). In einem Archiv, das mehr erreichen will als nur ein Bedürfnis nach Nostalgie befriedigen, müssen auch historische und intermediale Bezüge erfasst und ggf. expliziert werden.
Auch in meinem Vortrag klang das an. Ich sprach über die Frage, ob bei der Beschäftigung mit alten Computerspielen neben dem Versuch, diese als Teil des kulturellen Gedächtnisses zu bewahren, auch eine Romantisierung (der eigenen Biografie, einer vermeintlich einfacheren Zeit, usw.) stattfindet, der gegenüber man skeptisch sein sollte. Auch ich betonte daher, wie wichtig es ist, über das eigentliche Spiel und über die eigenen Erfahrungen mit dem Spiel hinauszugehen und weitere Kontexte einzubeziehen. Allzu romantischen Gefühlen, so betonte ich am Ende, sollte man skeptisch gegenübertreten. Womöglich bewegt mich diese Frage derzeit, weil ich mich seit einer Weile verstärkt mit Spielen aus der ehemaligen DDR auseinandersetze und überlege, wie man diese abseits eines Kuriositätenkabinetts ("ach, guck, auch im Osten gab es Computerspiele") oder der üblichen Stasi-Thematik ("oh, der junge Programmierer wurde von der Stasi befragt") präsentieren und historisch und intermedial einordnen kann, ohne aber in die "Ostalgie"-Falle zu tappen. Darüber werde ich noch etwas weiter nachdenken müssen.
Resonanzerfahrung
Wozu ich nach der Tagung jedoch ziemlich motiviert bin, was nicht nur inhaltliche, sondern auch soziale Gründe hat. Wir haben uns auf Über/Strom schon früher, während der Corona-Lockdowns, darüber ausgelassen, wie schwierig auf Dauer rein onlinebasierte, letztlich die Vereinzelung nie ganz überwindende, Interaktions- und Kommunikationsformen sind. Uta Buttkewitz hatte die Situation Anfang 2021 mit Thomas Manns "Zauberberg" verglichen, in dem von der "Ewigkeitssuppe" die Rede ist, eine "monotone, sich wiederholende Gleichförmigkeit des Alltags", in der man sich aber doch eingerichtet hatte.
Wie sehr ich mich seit 2020 an das Arbeiten im Home Office und die Abwesenheit großer Gruppen gewöhnt hatte, wurde mir tatsächlich erst auf der Tagung in Marbach deutlich. Da Konferenzen seit mehreren Jahren nicht mehr zu meinem Arbeitsalltag gehören (ich arbeite seit 2015 nicht mehr an einer Universität oder in ihrem direkten Umfeld), war ich anders als andere Teilnehmer:innen noch längst nicht wieder im Vor-Corona-Konferenzmodus. Die wenigen wissenschaftlichen Events, an denen ich neben meinem 'normalen' Job und meinen schreiberischen Aktivitäten seit Corona teilnahm, fanden online oder "hybrid" statt; der letzte Vortrag vor 'echten' Menschen in großem Rahmen war die Vorstellung meines Buches "Die Unschuld der Maschine" auf der Frankfurter Buchmesse 2019. Das ist lange her.
Insofern musste ich mich erstmal akklimatisieren. Nach einer anfänglichen Euphorie spürte ich, wie ich mich im Laufe des ersten Tages innerlich zurückzog. Angesichts all der 'echten' Wissenschaftler:innen (d.h mit institutioneller Anbindung und idealerweise gut finanziertem Forschungsprojekt) war ich etwas eingeschüchtert. Zeitweilig hatte ich darum auch Selbstzweifel in Bezug auf meinen eigenen Vortrag und überhaupt meine Anwesenheit dort - typisches Impostor-Syndrom. Dazu kamen noch diverse Medienwechsel: Menschen, die ich vorher nur aus dem Internet 'kannte' (teils nur von ein paar Twitter-Likes und -Kommentaren), konnte ich das erste Mal 'in echt' treffen.
Nach der langen Home-Office-Isolation war das alles sehr aufregend und auch rein physisch sehr laut. Glücklicherweise waren die Menschen auf der Tagung alle nett, sehr 'welcoming', interessiert und sehr integrativ, wofür ich tatsächlich ziemlich dankbar bin. Das war aber nicht nur eine positive soziale Erfahrung, von der ich vorher gar nicht wusste, dass ich sie doch mal gebraucht habe (man könnte vielleicht auch Resonanzerfahrung sagen, wenn man diesen Begriff des Soziologen Hartmut Rosa nutzen will). Es war auch ein Schub für mein eigenes Vertrauen in das, was ich so produziere (d.h. v.a. die Texte, die ich schreibe), und eine große Motivation, damit verstärkt weiterzumachen.
Wenn es einer Tagung gelingt, auf allen drei Ebenen anzusprechen oder zu bestärken - die fachlichen Inhalte, das Socializing und die eigene Motivation -, dann hat sie sich wirklich gelohnt. Insofern nochmals vielen Dank, liebe Organisator:innen in Marbach. Es war schön.
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