ÜBERSTROM

Politik

Was wir tun können: 20 Punkte zur Stärkung der Demokratie

von Wiebke Schwelgengräber und Mario Donick

25.02.2025

Es gibt viele Wege, sich im eigenen Leben für Demokratie einzusetzen. Je nach Lebensituation wird das anders aussehen und es ist nicht alles einfach. Trotzdem ist es wichtig. Als Anregung hier ein spontanes Brainstorming nach der Bundestagswahl.

Bunte Regenbogenfarben

Foto: Shutterstock / Nicholas J Klein

Wir erleben seit einiger Zeit die Destabilisierung demokratischer Strukturen und den Aufstieg rechter und rechtsextremer Parteien. Einige von uns fühlen sich hilf- und machtlos im Angesicht menschenverachtender Positionen. Oft vergessen wir aber, dass wir sehr viel Macht besitzen und im Alltag schon einiges für unsere Demokratie tun können.

Wir führen in diesem spontan nach der Bundestagswahl 2025 geschriebenen Artikel zwanzig Punkte auf, die wir selbst, in unserer Lebenssituation, als machbar ansehen. Es gibt sicher noch viel viel mehr, die wir vergessen haben, und sicher ist auch nicht alles für alle Menschen gleichermaßen möglich.

Aber alle können etwas tun. Vielleicht regt diese Liste auch Sie an, für Ihre Lebensituation zu überlegen, was möglich ist.


1. Wir können wählen gehen.

Das ist das Minimum: Jede Stimme zählt. Und noch wichtiger ist die Stimme für Parteien, die demokratische Werte und Menschenrechte vertreten bzw. keine menschenfeindliche Politik fördern oder betreiben.

2. Wir können demonstrieren gehen.

Demos verschaffen Sichtbarkeit und das gute Gefühl, nicht allein zu sein. Wer eher schüchtern ist, muss ja nicht mitten im Zentrum laufen oder bei Sprechchören mitmachen. Aber die Anwesenheit zählt trotzdem. Dass Demos von 'der Politik' oft ignoriert werden, sollte nicht davon abhalten, hinzugehen. Demos zeigen auch den Mitmenschen, dass es uns und unsere Anliegen gibt. Wir können Demos gefährdeter Gruppen (z.B. CSDs) oder Demos in rechts dominierten Orten durch Teilnahme oder Spenden unterstützen. Wir achten bei Demos darauf, keine Fotos von Gesichtern der Teilnehmer*innen zu machen und zu verbreiten. Und wir tragen in engen Gruppen FFP2-Masken, um Gefährdete vor Krankheiten zu schützen.

3. Wir können Politiker*innen anschreiben.

Rechte Positionen sind zurzeit so normalisiert, dass sie von zu vielen gemäßigten Politiker*innen als Status Quo angesehen werden. Damit Parteien wie Grüne und SPD erkennen, dass ihr derzeitiges Mittragen menschenfeindlicher Tendenzen, etwa zum Thema Abschiebungen, nicht von uns geteilt wird, können wir ihnen E-Mails, Briefe oder Postkarten schreiben (auf Papier, per Post). Selbst wenn sie nicht antworten, registrieren sie die Anschreiben. Wir können Menschen, die selbst nicht die Möglichkeit haben, sich zu äußern, dabei unterstützen, indem wir mit ihrer Zustimmung Briefe senden oder ihnen Geld für das Porto geben.

4. Wir können offene Briefe und Petitionen unterschreiben oder sogar eigene starten.

Neben individuellen Anschreiben können wir auch offene Briefe schreiben und in Medien veröffentlichen. Viele von uns sind gut vernetzt. Wir können uns daher gegenseitig helfen, offene Briefe weiträumig zu verbreiten. Wenn ein ganz konkretes Anliegen gestärkt werden soll, eignen sich auch Petitionen. Neben unabhängigen Petitionsdienstleistern wie WeAct oder openPetition kann man auch im Bundestag und über die EU Petitionen einreichen. Digitale Petitionen lassen sich schnell verbreiten und unterschreiben.

5. Wir können in eine Gewerkschaft eintreten.

Eine Gewerkschaft kämpft für unsere Arbeitnehmer*innen-Rechte. Diese Rechte wurden im 19. und 20. Jahrhundert hart erkämpft. Dazu gehört, dass wir kranken-, sozial- und rentenversichert sind. Auch unser Anspruch auf Urlaub und gesetzliche Arbeitszeitbestimmungen waren nicht immer selbstverständlich. Wer keine Zeit hat, persönlich in einer Gewerkschaft mitzumachen, kann trotzdem eintreten und mit dem Mitgliedsbeitrag unterstützen. Je mehr Mitglieder eine Gewerkschaft hat, desto mächtiger ist sie und desto besser kann sie unsere Belange vertreten.

6. Wir können in eine Partei eintreten.

Es ist auch möglich, einer Partei beizutreten. Man kann vor Bundestagswahlen den Wahlkampf unterstützen, indem man von Haustür zu Haustür geht, an Ständen mithilft, Plakate aufhängt u.Ä. Wer das körperlich oder psychisch nicht gut kann, oder wegen Arbeit und Familie wenig Zeit hat, kann mit dem Mitgliedsbeitrag trotzdem helfen. Denn das Geld hilft der Partei, ihr Programm umzusetzen, im nächsten Wahlkampf erfolgreicher zu sein und für uns im Parlament (von Kreistag über Landtag und Bundestag bis zum Europäischen Parlament) für die Demokratie zu kämpfen.

7. Wir können Journalismus wertschätzen - und kritisieren, wenn nötig.

Journalist*innen (auch viele frei arbeitende bzw. prekär beschäftigte Journalist*innen) recherchieren und decken für uns auf, was in unserer unmittelbaren Umgebung und weltweit passiert. Dies passiert nicht selten unter gefährlichen Bedingungen. Einige Journalist*innen riskieren ihr Leben, um uns über Missstände in der Welt aufzuklären. Dafür brauchen sie unsere Unterstützung.

Doch nicht alles, was Medien bringen, fördert eine demokratische, menschenfreundliche, inklusive Gesellschaft. Wenn Beiträge rechte Positionen fördern (egal ob in vollem Bewusstsein oder unabsichtlich), oder wenn öffentlich-rechtliche Medien eine Nazi-Partei achselzuckend als normal darstellen (in Interview, in Talkshows, in verharmlosenden Überschriften usw.), dann können wir durch E-Mails und Briefe protestieren. Damit zeigen wir den Redaktionen, dass rechte Positionen abgelehnt werden und dass die Medien eine Verantwortung haben, aktiv gegen Nazis und Faschismus vorzugehen. Und dass sie sich mitschuldig machen, wenn sie das ignorieren.

8. Wir können Künstler*innen unterstützen.

Künstler*innen sind wichtig für eine vielfältige und lebendige Demokratie. Sie drücken auf kreative Weise Vergangenes, Gegenwärtiges und Zukünftiges aus. Sie zeigen uns, was der Mensch war, ist und sein kann. Wir wissen, was geschieht, wenn sich Künstler*innen nicht mehr äußern dürfen oder können. Das Bild der Gesellschaft wird zunehmend homogenisiert, eine breite Vielfalt an Ausdruck und Meinungen wird unterdrückt. Hass und Hetze gewinnen die Oberhand. Schon immer hat die Kunst sehr sensibel auf gesellschaftliche Umbrüche hingewiesen und uns gezeigt, wenn Fortschritt und Demokratie unterdrückt werden. Unterstützen wir also Künstler*innen und besuchen Kunstausstellungen und das Theater, gehen auf Konzerte, ins Museum usw. Helfen wir Leuten, die sich das nicht leisten können.

9. Wir können Bücher kaufen und lesen.

Autor*innen ermöglichen uns den Blick in andere Welten. Sie geben uns die Chance, Empathie zu entwickeln, historische und soziale Zusammenhänge zu erkennen oder auch einfach nur Freude an schönen Geschichten zu haben. Viele Schriftsteller*innen und Autor*innen leben in prekären Verhältnissen und sind darauf angewiesen, dass ihre Bücher gekauft werden. Oft sind sie es, die sich an die Öffentlichkeit wenden und ihr Gesicht zeigen, wenn Demokratie untergraben wird oder wenn die Rechte von Frauen, LGBTQIA+-Personen, kranker und beeinträchtigter Menschen oder von Menschen mit wenig Geld beschränkt oder demontiert werden. Wir können Bücher mit Menschen teilen, die sie sich nicht leisten können, und Anschaffungsvorschläge an Bibliotheken machen.

10. Wir können Medien sammeln, die in Gefahr sind, unsichtbar gemacht zu werden.

Wenn rechte Parteien, Nazis und Faschist*innen an die Macht kommen, besteht die Gefahr, dass ganze Themen (z.B. Genderforschung, Klimakatastrophe, Kapitalismuskritik oder Kolonialismuskritik) unsichtbar gemacht werden und entsprechende Medien aus Bibliotheken, Archiven und Online-Datenbanken verschwinden. Wer die Möglichkeit hat, kann solche Medien jetzt archivieren und ggf. auf offline-Medien sichern. Dabei lernen wir selbst etwas, und können die Medien bei Bedarf auch an andere weiterzugeben, wenn der Zugang zu ihnen eingeschränkt wird.

11. Wir können eine lebendige Erinnerungskultur fördern.

Wir können uns an die Dinge erinnern, die uns als Menschen und Gesellschaft ausmachen. Das können auch kleine, positive Erinnerungen sein, die wir mit der Familie, mit Freunden, mit netten Menschen erlebt haben. Das müssen aber auch große, schlimme Geschehnisse sein: die Verbrechen der Kolonialisierung, unsere Nazivergangenheit, der Holocaust, die DDR-Diktatur und die nach der Wende in Deutschland verübten rechtsradikalen Verbrechen.

Wir können Überlebenden Raum in Medien oder im Unterricht geben, Ausstellungen und Gedenkstätten besuchen, an Gedenkveranstaltungen teilnehmen oder mithelfen, sie zu organisieren und mit anderen Menschen über all das reden. Wir können Leuten, die von all dem nichts hören wollen, erklären, warum die aktive Erinnerung wichtig ist.

12. Wir können im Alltag für Demokratie und Menschenrechte eintreten.

Ob in der Familie, am Arbeitsplatz, im ÖPNV, im Supermarkt: Es ist nicht immer einfach, im Alltag den ganzen Mist anzuhören, den einige Leute verbreiten. Häufig steht man dem eher hilflos gegenüber. Es ist wichtig, uns darin zu üben, gegen diskriminierende, menschenfeindliche oder schlicht falsche Statements anzugehen. Wir können positive Entwicklungen herausstellen und versuchen, Fakten zu nennen, damit falsche Informationen nicht unwidersprochen bleiben. Denn wenn sie unwidersprochen bleiben, setzen sie sich erst recht in den Köpfen fest und sie werden als normal angesehen. Aber menschenverachtende Positionen sind nicht normal und dürfen nicht als selbstverständlich angesehen werden.

13. Wir können Geld an Projekte und Hilfsorganisationen spenden.

Wenn wir die Möglichkeit haben, können wir Geld an Organisationen spenden, die sich für benachteiligte Personen, Demokratieförderung oder gefährdete Forschunggebiete einsetzen, z.B. das Polylux-Netzwerk, das Inititativen für eine starke Zivilgesellschaft im ostdeutschen Raum fördert.

14. Wir können Medien am Arbeitsplatz für Aufklärung nutzen.

Am Arbeitsplatz erreichen wir viele Menschen – je nach Firma von Angesicht zu Angesicht auf dem Flur, im Besprechungsraum oder in der Teeküche. In großen Konzernen oder in Firmen, die viel Home Office machen, sind oft auch firmeneigene soziale Netzwerke üblich, es gibt Chatgruppen oder (digitale) Betriebszeitungen. Über all diese Wege können wir anlassbezogen für Demokratie eintreten. Wir können Beiträge verfassen, in denen Diversität und Inklusion selbstverständlich sind bzw. sie als normal und positiv darstellen. Wir können in eigenen Posts das Gender-Sternchen benutzen, selbst wenn andere das nicht tun. Diversität und Inklusion wirkt auf Arbeitskolleg*innen glaubhafter, wenn sowas als normaler Teil der Kommunikationskultur unter Gleichrangigen passiert (und nicht nur von oben angeordnet wird).

15. Wir können Menschen in gefährdeten Situationen helfen.

Wenn Menschen in kritischen Situationen Hilfe benötigen (wenn sie z.B. im ÖPNV oder auf der Straße diskriminiert werden), können wir für sie da sein. Wir können verbalen Anfeindungen widersprechen und wir den Betroffenen bei Bedarf helfen, die Situation zu verlassen. Wir sollten uns dazu nicht selbst in Gefahr bringen (bei gewaltbereiten oder bewaffneten Nazis muss man aufpassen, wenn man dem körperlich nichts entgegensetzen kann). Aber wir können uns weitere Hilfe holen: andere anwesende Personen konkret ansprechen und sie auffordern, zu helfen; und ja, auch den Notruf wählen (uns ist klar, dass die Polizei selbst oft auf der Seite der Nazis steht, aber der Notruf an sich kann manche Täter*innen erstmal abhalten).

16. Wir können illegale, menschenfeindliche oder gegen unser Gewissen verstoßende Anweisungen und Befehle verweigern.

Für Beamt*innen gilt ohnehin die Remonstrationspflicht. Das bedeutet, dass sie gegen möglicherweise illegale Anweisungen Einspruch einlegen müssen. Leider ist die Umsetzung nicht perfekt und setzt Beamt*innen auch unter Druck (mehr dazu im Verfassungsblog). Wird die Anweisung von den nächsthöheren Vorgesetzten bestätigt, kann man immer noch verzögern: gesetzliche Grundlagen sehr genau prüfen Rückfragen stellen, diskutieren, Probleme vorschieben, die die Umsetzung erschweren, usw.

Für alle gilt: Wir können hinterfragen, ob wir noch in einer Organisation oder Firma arbeiten wollen, die sich menschenfeindlich verhält oder sich Nazis und Faschist*innen anbiedert. Wenn Chefs AfD wählen, frühere inklusive Aktivitäten/Statements sich als Rainbow Washing herausstellen oder die Konzernleitung einem Trump oder Musk Geld hinterherwirft - dann können wir damit beginnen, uns alternative Tätigkeiten zu suchen.

17. Wir können in Medien Positives teilen, nicht nur Negatives.

Wenn immer alles ganz schlimm ist, zieht das nur runter und wir fühlen uns hilf- und machtlos. Das ist genau das, was Faschist*innen und Nazis wollen. Lassen wir das nicht zu! Wir können positive Entwicklungen sammeln und teilen. Wir können auch bestärkende Statements von nicht-rechten Politiker*innen teilen.

Neben den Teilen von guten Neuigkeiten (und ja, auch Katzenvideos sind okay) in sozialen Medien sind auch Papierkopien eine Möglichkeit - ein gedruckter Newsletter zum Aushängen an der Pinnwand im Supermarkt, zum Verteilen in Briefkästen der Nachbarschaft oder an Menschen auf der Straße.

18. Wir können aushalten, dass niemand perfekt ist.

Die eine Person erscheint vielleicht nicht "links" genug, oder nicht auf die "richtige" Weise "links". Oder sie setzt "falsche" Prioritäten. Wieder eine Person ist vielleicht nicht "grün" oder nicht "radikal" genug. Alle kommen aus unterschiedlichen Lebenswelten. Trotzdem sind sie Verbündete für Demokratie und gegen den zunehmenden Faschismus in Deutschland, Europa und der Welt. Und darum geht es. Nicht darum, sich selbst als einzige Person im Besitz der Wahrheit zu inszenieren.

19. Wir können uns selbst reflektieren.

Faschistisches und rechtes Gedankengut verbreitet sich schnell und verankert sich in den Denkweisen und Einstellungen von Personen. Das kann sich subtil, aber auch offen zeigen. Dazu kommt das Gefühl, selbst "das Richtige" zu tun und andere dadurch abzuwerten. Wir müssen uns selbst immer wieder reflektieren, ob sich solche Positionen nicht auch in uns selbst, z.B. als Vorurteile, festsetzen. Ob wir selbst abwertende Positionen verbreiten. Oder ob es uns in dieser einen Äußerung oder dieser einen Diskussion in Wahrheit mehr um unser eigenes Ego und das Rechthaben geht als um die Sache.

20. Wir können trotz allem lieb zueinander sein.

Die Situation in Deutschland und der Welt ist erschreckend, erschütternd und anstrengend. Dagegen anzugehen ist ebenfalls nicht einfach. Es ist leicht, frustriert, verbittet und zynisch zu werden. Aber das ist der erste Schritt, selbst menschenfeindlich zu werden. Wir lassen unsere Sorgen nicht in Aggressionen an unseren Mitmenschen aus.

 

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